Sixt Autovermietung: der zerbeulte Benz

Sixt Autovermietung: der zerbeulte Benz

Der Fall

Die Autovermietung Sixt hatte meinen Mandanten verklagt, es ging um knapp 10.000 €.

Sixt forderte Schadensersatz, weil der schicke Miet-Benz, den mein Mandant fuhr, bei einem Unfall auf einer Autobahn im Ruhrgebiet beschädigt wurde. Es war Randbewachsung und eine nasse Fahrbahn im Spiel.

Angemietet hatte den Benz allerdings gar nicht mein Mandant. Mieterin war vielmehr eine Firma, für die mein Mandant gearbeitet hat. Der Mandant sollte nur Fahrer sein und das Auto für eine wichtige Dienstreise verwenden.

In dem Mietvertrag zwischen dieser Firma und Sixt gab es eine Regelung, die ganz ähnlich wie eine Kaskoversicherung funktionierte. Bestimmt kennen viele Leser*innen dieses Beitrags solche Regelungen. Es wird ein kleiner Zusatzbetrag bezahlt, dafür muss dann kein Schadensersatz geleistet werden, wenn das Fahrzeug fahrlässig beschädigt wird.

Daran sind aber gewisse Bedingungen geknüpft – sogenannte Obliegenheiten, wie es sie ebenfalls bei der Kaskoversicherung gibt. Diese Obliegenheiten sollten laut Vertrag ausdrücklich für die Mieter*innen, aber auch für die Leute gelten, die das Fahrzeug nur fahren. So war zum Beispiel geregelt, dass die Fahrer*in bei einem Unfall die Polizei rufen müsse. Dabei sei es ganz egal, ob von dem Unfall auch andere Personen oder Sachen betroffen sind oder nicht. Die Polizei musste immer gerufen werden.

Bei unserem eben noch so schicken Benz war es nun so, dass bei dem Unfall tatsächlich nur das Auto fahrlässig beschädigt wurde – sonst nichts und niemand.

Nachdem es auf der Autobahn gerummst hatte, schaute mein Mandant sich das Malheur an. Der Wagen war auf der Fahrerseite verbeult und zerkratzt, konnte aber problemlos noch fahren. Andere Autos waren wie gesagt nicht beteiligt. Mein Mandant rief deshalb nicht die Polizei, sondern fuhr mit dem Fahrzeug weiter und gab es schließlich an seinem Zielort bei Sixt zurück.

Sixt war nun der Ansicht, dass mein Mandant den schicken Benz fahrlässig beschädigt habe. Das bedeutet eigentlich nichts Schlimmes, denn genau dafür gab es ja die Haftungsbefreiung im Mietvertrag. Auf diese Befreiung aber könne sich – so Sixt – mein Mandant nicht berufen! Denn er habe die Obliegenheit verletzt, die Polizei herbeizuholen. Das sei auch mindestens grob fahrlässig gewesen. Deshalb müsse mein Mandant für den Schaden haften.

Der Prozess

Das Landgericht Duisburg sah es in der ersten Instanz ebenso wie Sixt und verurteilte meinen Mandanten in voller Höhe zur Zahlung. Das gefiel dem Mandanten nicht (Stichwort: knapp 10.000,00 €). Also habe ich Berufung zum OLG Düsseldorf eingelegt.

In diesem Fall stellte sich nun eine sehr interessante Rechtsfrage. Soweit ersichtlich, hat sich der Bundesgerichtshof mit dieser Rechtsfrage auch noch nicht abschließend auseinandergesetzt. Es gibt also keine so genannte Leitentscheidung oder etwas ähnliches. Was es gibt, sind die Auffassungen der Gerichte in den Instanzen, und jene der Jurist*innen, die in Zeitschriften, Büchern und Blogartikeln ihre Auffassung kund tun.   

Die interessante Rechtsfrage lautet:

Muss die Fahrer*in eines Mietwagens sich an die vertraglichen Obliegenheiten halten, die nur zwischen der Autovermietung und der Mieter*in, nicht aber mit der Fahrer*in vereinbart wurden? Kann die Autovermietung im Vertrag die Fahrer*in verpflichten, obwohl die Fahrer*in gar nicht Vertragspartei ist?

Hierzu gibt es zwei sehr unterschiedliche Auffassungen: ja und nein.

  • Die eine Auffassung (ja) meint: das ist doch völlig klar! Wer in den Genuss der Haftungsbefreiung kommen will, muss sich auch an die vertraglichen Bedingungen halten und die Obliegenheiten erfüllen.
  • Die andere Auffassung (nein) meint: das ist doch völlig klar! Für jemanden, der nicht Mieter*in und deshalb überhaupt gar nicht Partei eines Vertrages ist, können nicht die Regelungen gelten, die zwei andere Vertragsparteien miteinander vereinbart haben. Ich kann ja auch in der Bäckerei nicht mein Brötchen bestellen und dann mit der Verkaufskraft vereinbaren, dass die nächste Person in der Schlange das Brötchen bezahlt. Diese nächste Person würde sich schön bedanken, wenn die Vereinbarung zwischen mir und der Bäckerei für sie jetzt auch gelten würde und sie meine Brötchen bezahlen müsste.

In unserem Prozess war das zunächst eine wichtige Frage. Wenn nämlich die Obliegenheiten für meinen Mandanten überhaupt nicht galten, dann konnte er auch nicht dagegen verstoßen haben. Es wäre also völlig wurscht gewesen, ob er die Polizei gerufen hat oder nicht, oder ob das fahrlässig, grobfahrlässig oder vorsätzlich unterblieben ist.

Meiner Ansicht nach sprechen die besseren Argumente für die zweite Auffassung. Diese fügt sich auch in die Rechtsprechung des BGH zum Kasko-Versicherungsrecht ein. Details erspare ich Ihnen hier.

Das OLG Düsseldorf hat die Frage letztendlich nicht entscheiden müssen. Es war nämlich – anders als das LG Duisburg – der Ansicht, dass in der konkreten Konstellation mein Mandant ohnehin nicht grobfahrlässig oder gar vorsätzlich gegen eine Obliegenheit aus dem Vertrag verstoßen habe, indem er von einem Anruf bei der Polizei absah. Deshalb war es aus Sicht des OLG nicht von Bedeutung, ob die vertragliche Regelung für meinen Mandanten als Fahrer galt oder nicht.

Das OLG  hat somit die Entscheidung des Landgerichts Duisburg abgeändert und die Klage gegen meinen Mandanten abgewiesen.

Die interessante Rechtsfrage aber bleibt bis auf Weiteres ungeklärt.

Prämienerhöhungen der privaten Krankenversicherung – unwirksam?

Prämienerhöhungen der privaten Krankenversicherung – unwirksam?

Was ist passiert?

Große Aufregung verursachen dieser Tage wieder die Gerichte, dieses Mal das LG Frankfurt (Oder), das mit Urteil vom 18.01.2018 (14 O 203/16) entschieden hat, dass die Prämienerhöhungen der Krankenversicherung DKV für die Jahre 2015 bis 2017 unwirksam seien. Die DKV hat natürlich gleich angekündigt, Berufung einzulegen (Bericht im Handelsblatt).

Ganz so exotisch ist die Auffassung des Gerichtes nicht. Bereits im Jahr 2016 hat das Amtsgericht Potsdam (Urteil vom 18.10.2016, Az. 29 C 122/16) gegen eine andere Krankenversicherung (die AXA) entsprechend entschieden. Das Urteil des AG Potsdam löste schon damals ein großes Flügelschlagen aus, wurde für geradezu absurd gehalten und etwas belächelt – bis in der Berufungsinstanz das Landgericht Potsdam mit Urteil vom 27.09.2017 (Az. 6 S 80/16) die Entscheidung bestätigte. Nun ist der BGH am Zug.

Die Folge dieser Unwirksamkeit ist nach Ansicht der Landgerichte, dass die betreffenden Kläger

  • überzahlte Beträge plus Zinsen zurückverlangen können und
  • fortan nur die Prämie ohne die unwirksamen Erhöhungen zahlen müssen.

Das klingt natürlich auch für andere VersicherungsnehmerInnen interessant.

 

Worum geht es eigentlich?

Die Auffassung der genannten Gerichte klingt verblüffend einfach.

Nach dem Gesetz (§ 203 Abs. 2 S. 1 VVG) kann der Krankenversicherer die Prämie neu festsetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat.

Privat Versicherte kennen das sicher von ihrer Kasse: bei den allfälligen Prämienerhöhungen wird stets angegeben, dass ein unabhängiger Treuhänder der Anpassung zugestimmt habe.

Die Kläger in den oben genannten Verfahren haben nun behauptet, der Treuhänder ihrer Krankenversicherung sei aber gar nicht unabhängig. Vor allem erziele er durch seine Tätigkeit als Treuhänder über viele Jahre hinweg von der Versicherung ein hohes Einkommen. Dieses Einkommen mache mehr als 30 % seiner jährlichen Gesamteinkünfte aus. Dem sind offenbar weder die AXA noch die DKV entgegengetreten. Aus den Angaben der AXA in den Verfahren in Potsdam ergibt sich vielmehr, dass die Behauptung jedenfalls betreffend AXA für die meisten Jahre stimmt.

Das LG Potsdam hat bei seiner Prüfung der Unabhängigkeit des Treuhänders in erster Linie die Maßstäbe angesetzt, die nach dem Gesetz (§ 319 Abs. 3 Nr. 5 HGB) für die Unabhängigkeit von Wirtschaftsprüfern gelten. Dort gibt es nämlich eine ganz starre 30-%-Grenze. Zwar würde diese starre Grenze bei Treuhändern der Krankenversicherung nicht direkt gelten, so das LG Potsdam, aber: je größer die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Treuhänders, desto beeinflussbarer sei dieser auch. Und in der Gesamtschau aller Umstände, insbesondere der langjährigen Tätigkeit als Treuhänder bei AXA und des Einkommens sei hier die Unabhängigkeit nicht mehr gewahrt gewesen. Also: Geld regiert die Welt! Das klingt sehr einleuchtend.

Da langjährige Treue ein besonderes Kennzeichen der Treuhänder nach § 203 VVG zu sein scheint, sind von den Entscheidungen sehr viele Kunden der privaten Krankenversicherungen betroffen. Die DKV z.B. arbeitet nach eigenen Angaben bei jeder Prämienerhöhung seit 2004 mit demselben Treuhänder zusammen. Das bedeutet nach dem LG Potsdam und dem LG Frankfurt (Oder): alle Prämienerhöhungen, bei denen dieser Treuhänder nicht unabhängig war, sind unwirksam. Die Kunden können zu viel gezahlte Beiträge von ihrer Krankenversicherung zurück verlangen.

Es geht also um viel.

 

Jetzt sofort klagen?

Keine der Entscheidungen ist bislang rechtskräftig – letztendlich wird voraussichtlich der BGH die aufgeworfenen Rechtsfragen beantworten. In den juristischen Kommentaren und Zeitschriften wird auf vielfältige Weise gegen die Ansicht der Landgerichte Potsdam und Frankfurt (Oder) argumentiert. Auch die Bafin positioniert sich sehr deutlich dagegen (Bafin Journal 22/17 zum Download, Seite 22-25).

Das ändert aber nichts daran, dass die Krankenversicherer ein Problem haben, wenn der BGH die Rechtsprechung der Landgerichte Potsdam und Frankfurt (Oder) bestätigt. Denn dies dürfte erheblichen Einfluss auf die Rechtsprechung der Instanzgerichte ausüben.

Wer jetzt direkt gegen seine Krankenversicherung klagt, geht hierbei freilich ein gewisses Risiko ein.

In den Fällen der Prämienerhöhung ist es nämlich voraussichtlich ganz maßgeblich entscheidend, wie der BGH die Rechtsfragen beantwortet,

  • wann ein Treuhänder nach dem Gesetz unabhängig ist,
  • ob sich die etwa fehlende Unabhängigkeit auf die Wirksamkeit der Beitragsänderung auswirkt und
  • ob hieraus Ansprüche der VersicherungsnehmerInnen entstanden sind.

Wie der BGH entscheiden wird, ist offen – darin liegt Ihr (Kosten-)Risiko als VersicherungsnehmerIn, wenn Sie sofort klagen. Denn es ist keineswegs gesagt, dass der BGH der Ansicht etwa des Landgerichts Potsdam folgt. Klagen Sie hingegen nicht und bestätigt der BGH das Landgericht Potsdam, so droht die Verjährung jedenfalls von Ansprüchen, die schon vor längerer Zeit entstanden sind (dazu weiter unten). Auch das ist ein Risiko. Sofern keine Rechtsschutzversicherung eintrittspflichtig ist, müssen Sie diese Risiken abwägen.

 

Informationen über den Treuhänder einholen

Sie können zunächst einmal Ihre private Krankenversicherung darum bitten, Ihnen den für Ihre Prämienerhöhung(en) zuständigen Treuhänder zu benennen. Hierauf haben Sie ein Recht (OLG Stuttgart, Beschluss v. 18.01.2007, Az. 10 W 84/06).

 

Verjährung

Der Rückzahlungsanspruch gegen Ihre private Krankenversicherung – wenn er denn besteht – verjährt binnen 3 Jahren, nachdem Sie von ihm Kenntnis erlangt haben oder grobfahrlässig nicht erlangt haben. Die Frist beginnt erst am Ende des Jahres zu laufen, in dem Sie diese Kenntnis erlangt haben.

Wann haben Sie Kenntnis erlangt?

Selbst informierte VersicherungsnehmerInnen werden in aller Regel nicht vor dem Jahr 2017 Kenntnis erlangt haben (und haben können), als sich in der Wirtschaftspresse erste Berichte über das Urteil des AG Potsdam fanden. Wer hätte zuvor Anlass gehabt zu glauben, der Treuhänder sei nicht unabhängig?

Bei den meisten VersicherungsnehmerInnen wird Kenntnis allerdings noch später, nämlich erst ab dem Zeitpunkt einer anwaltlichen Beratung zu diesem Thema anzunehmen sein.

Die Kenntnis besteht sodann auch für Ansprüche, die schon vor längerer Zeit entstanden sind (also für überhöhte Beiträge, die Sie vor vielen Jahren gezahlt haben). Das Gesetz zieht hier eine Grenze bei zehn Jahren. Das bedeutet: Ansprüche, die vor mehr als zehn Jahren entstanden sind, sind grundsätzlich verjährt – und verjähren laufend weiter, und zwar taggenau.

Beispiel zur Zehn-Jahres-Frist

Wenn Ihr Krankenversicherungsbeitrag von Januar 2008 wegen unwirksamer Prämienerhöhung zu hoch war, haben Sie Pech gehabt. Ihre Forderung ist verjährt.

Eine Forderung aus März 2008 verjährt aber auch erst im März 2018, eine Forderung aus Juni 2009 erst im Juni 2019 und so weiter.

Anders gesagt: wenn Sie überhaupt erst seit zum Beispiel 2013 oder 2015 eine private Krankenversicherung haben, dürfte ein Verjährungsproblem in nächster Zeit nicht bestehen – maßgeblich für Sie persönlich ist aber immer Ihr konkreter Einzelfall.

 

Rechtsschutzversicherung

Mit einer Rechtsschutzversicherung im Rücken ist es natürlich weit weniger riskant, eine Inanspruchnahme Ihrer Versicherung zu prüfen bzw. prüfen zu lassen und gegebenenfalls gerichtlich vorzugehen, wenn Deckungsschutz besteht. Wie gesagt besteht ein gewisses Prozessrisiko, da hier sehr viel von der Einschätzung des BGH abhängt. Auch mag die Situation bei anderen Krankenversicherern als AXA und DKV anders liegen. Hier kommt wieder die berühmte Prüfung im Einzelfall ins Spiel. Es sind mittlerweile aber auch schon weitere Versicherer verklagt.

 

Verjährungsverzicht

Ansonsten kann auch erwogen werden, einmal bei Ihrer Versicherung nachzufragen (vielleicht anwaltlich unterstützt), ob diese bereit ist, für einen gewissen Zeitraum auf die Einrede der Verjährung zu verzichten – nämlich so lange, bis bekannt ist, wie der BGH sich positioniert. Dies hätte für beide Seiten Kostenvorteile. Wenn dann irgendwann die Entscheidung des BGH zu den grundlegenden Rechtsfragen vorliegt, wird Ihr Versicherer vielleicht sogar freiwillig zahlen oder aber Sie können klagen, ohne die Einrede der Verjährung befürchten zu müssen. All das hängt – es wird Sie nicht überraschen – vom Einzelfall ab.