Die kleine hessische Verordnung

Die kleine hessische Verordnung

In einem Fall vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main ging es um die Kündigung eines Mietvertrages wegen Eigenbedarfs.

Die erste Kündigung

Meine Mandanten sind seit fast 20 Jahren Mieter einer Wohnung in Frankfurt. Der Vermieter erklärte im Jahr 2015 die Kündigung, weil er die Wohnung für sich selbst benötige. Wie man weiß, kann ein solcher Eigenbedarf durchaus einen guten und tragfähigen Grund für eine Kündigung darstellen. Also hat der Vermieter meine Mandanten auf Räumung der Wohnung verklagt. In den Prozessen, die sich um eine Kündigung wegen Eigenbedarfs drehen, geht es häufig darum, ob der Eigenbedarf wirklich besteht und ausreichend ist, um die Kündigung zu rechtfertigen.

Verfahren wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs

Wie eine Umfrage unter Berliner Richterinnen und Richtern ergab, häufen sich wohl die Verfahren, in denen es darum geht, dass der Vermieter einen Eigenbedarf nur vortäuscht. Wird der Eigenbedarf vorgetäuscht und zieht die Mieterin oder der Mieter deshalb aus, so kommen Schadensersatzansprüche gegen die Vermieterin resp. den Vermieter in Betracht

Der Gesetzgeber möchte Mieter aber davor schützen, dass ein Eigenbedarf erst geschaffen wird und dadurch Mieter/innen verdrängt werden, wenn das Mietverhältnis schon längst besteht. Er hat deshalb eine Sperrfrist bestimmt, innerhalb derer eine Eigenbedarfskündigung von vornherein nicht ausgesprochen werden kann, wenn

  • nach Beginn des Mietvertrages
  • Wohnungseigentum an der Wohnung begründet wurde und
  • danach diese Wohnung verkauft wurde.

Diese Regelung findet sich in § 577a Absatz 1 des BGB. Die Sperrfrist beträgt nach dem BGB drei Jahre nach dem (erstmaligen) Verkauf der Wohnung. Sie kann aber durch die Gesetzgeber der Bundesländer auf bis zu 10 Jahre verlängert werden.

Der hessische Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine Verordnung erlassen. Für bestimmte Gebiete, unter anderem für Frankfurt am Main, ist darin festgelegt, dass die Sperrfrist zehn Jahre beträgt, wenn das Wohnungseigentum vor dem 31.12.2009 veräußert wurde. Diese kleine Verordnung namens KündBGebV HE hat nur zwei Paragraphen, die aber für Mieter und Vermieter eine große Auswirkung haben können. So auch hier § 1 Absatz 2 der KündBGebV HE!

In unserem Fall wurde das Wohnungseigentum erst im Jahr 2004 (also zeitlich nach Übergabe der Wohnung an die Mieter) begründet. Der aktuelle Vermieter hat die Wohnung im Jahr 2008 (also zeitlich nach der Umwandlung in Wohnungseigentum und vor dem 31.12.2009) gekauft. Das heißt, die Zehn-Jahres-Frist nach der hessischen Verordnung begann frühestens im Jahr 2008. Vor Ablauf von zehn Jahren nach dem Kauf der Wohnung kann der Vermieter die Wohnung also nicht wegen Eigenbedarfs kündigen. Die Klage des Vermieters wurde abgewiesen, weil die zehn Jahre im Jahr 2015 noch nicht vorbei waren. Die Kündigung war aus diesem Grunde unwirksam.

Die zweite Kündigung

Der Fall hat eine weitere interessante Komponente: mitten im Prozess hat der Vermieter plötzlich eine neue Kündigung ausgesprochen, und zwar eine fristlose. Grund war, dass meine Mandanten wegen bestimmter Mängel schon vor Jahren die Miete gemindert hatten. Der Vermieter war freilich der Ansicht, die Wohnung sei tutti paletti. Deshalb hat er die fristlose Kündigung wegen rückständiger Miete erklärt, weil die Minderung ja unberechtigt sei.

Mit dieser zweiten Kündigung musste das Gericht sich aber gar nicht beschäftigen. Sie hat nämlich mit der ursprünglichen Kündigung wegen Eigenbedarfs überhaupt nichts zu tun und gehört daher nicht in den Prozess wegen der Eigenbedarfskündigung (außer die Mieter sind damit einverstanden).

Details zum Verfahren

Zivilprozessual ist hier die Frage einer Klageänderung nach § 263 ZPO angesprochen. Ändert der Kläger seine Klage nach dieser Vorschrift und widerspricht der Beklagte der Klageänderung, so ist die Klageänderung nur zulässig, wenn sie aus Sicht des Gerichtes sachdienlich ist.

Hier musste das Gericht zunächst entscheiden, ob überhaupt eine Klageänderung vorliegt, denn der geltend gemachte Anspruch (Räumung der Wohnung) hat sich ja überhaupt nicht geändert. Wenn aber derselbe Anspruch mit einem ganz anderen Sachverhalt als ursprünglich begründet wird, liegt gleichwohl eine Klageänderung vor, denn nun soll das Gericht ja den anderen, neuen Sachverhalt prüfen. Das gilt auch, wenn der neue Sachverhalt nur zusätzlich in den Prozess eingeführt wird, so wie hier.

Die Klageänderung war auch nicht sachdienlich. Denn der neue Sachverhalt (die fristlose Kündigung) stand mit dem ursprünglichen Sachverhalt (Kündigung wegen Eigenbedarfs) in keinem Zusammenhang. All das, was der Kläger zum Eigenbedarf schriftsätzlich vorgetragen hat, konnte bei der Prüfung der neuen fristlosen Kündigung nicht verwertet werden. Deshalb war es nicht sachdienlich. Als Gegenbeispiel ein Beschluss des BGH vom 27.10.2015: dort war die ursprüngliche Kündigung wegen Mietrückstands aufgrund unberechtigter Minderung ausgesprochen worden. Auch die neue Kündigung (die Klageänderung) bezog sich auf denselben Mietrückstand und dieselbe Minderung, nur für einen späteren Zeitraum. In diesem Fall des BGH konnten also die bisherigen Erkenntnisse des Prozesses auch für die Prüfung der neuen Kündigung verwertet werden. Deshalb war die Klageänderung dort – und anders als in meinem Fall – sachdienlich.

Die Klage des Vermieters wurde also wegen einer kleinen hessischen Verordnung abgewiesen.

Urteil AG Frankfurt am Main vom 08.11.2017, Az. 33 C 2574/16 (50)

 

Der verspätete Flug

Der verspätete Flug

Liebe Leserinnen und Leser,

zu Beginn möchte ich von einem kleinen Verfahren aus der zivilrechtlichen Praxis berichten.

Meinen Mandanten ist etwas passiert, was sicherlich einige von Ihnen kennen werden: ihr Flug in den Urlaub hat sich verspätet, und zwar ganz erheblich verspätet. Eigentlich wollten die Mandanten eines schönen Abends gegen 22 Uhr von Frankfurt nach Rio de Janeiro fliegen. Daraus wurde aber nichts, denn es war irgendwas mit dem Flugzeug. Die Lufthansa spendierte ein Hotelzimmer am Flughafen und einen Gutschein, der für ein Abendessen vom Buffet reichte, über das meine Mandanten wenig Gutes zu berichten wussten. Aber sie mussten nicht hungern und hatten ein Dach über dem Kopf, also gab es hier keinen Grund, rechtliche Maßnahmen zu ergreifen.

Ärgerlicher war schon, dass der Flug dann erst am nächsten Morgen ging und die Mandanten mit über 10 Stunden Verspätung in Rio ankamen. Und für diesen Fall gibt es eine ganz praktische Handhabe, nämlich die Entschädigung nach der FluggastrechteVO.

Die Regelungen hierzu sind recht klar: abhängig von der Entfernung, die man mit dem Flugzeug überwinden will, gibt es verschieden gestaffelte pauschale Entschädigungen, wenn der Flug drei Stunden oder mehr verspätet ist. Eine solche Entschädigung ist nur dann nicht geschuldet, wenn die Verspätung auf außergewöhnlichen Umständen beruht, die sich bei aller Sorgfalt nicht vermeiden lassen. Dass das der Fall ist, muss – wenn es zum Streit vor Gericht kommt – das Luftfahrtunternehmen beweisen, das Sie eigentlich pünktlich befördern sollte.

Die Mandanten sind vernünftige Leute, also sind sie keineswegs gleich zum Anwalt gerannt, sondern haben sich nach ihrem Urlaub per E-Mail an die Lufthansa gewandt und um Zahlung der Entschädigung gebeten. Schließlich steht ja alles im Gesetz! Die Lufthansa meinte allerdings ohne jede nähere Erläuterung, es habe ein unvorhersehbarer technischer Defekt vorgelegen, und lehnte eine Zahlung ab. Jetzt war dann doch ein Anwalt erforderlich. Das sodann folgende anwaltliche Schreiben würdigte die Lufthansa aber lediglich mit Schweigen.

Also habe ich Klage beim Amtsgericht Frankfurt am Main erhoben, denn das Gericht des Abflugortes  ist nach der Rechtsprechung des BGH das zuständige Gericht. Wegen der großen Entfernung nach Rio und der deutlichen Verspätung war die Maximalentschädigung von EUR 600,- pro Nase fällig. Diese fällt nämlich nach § 7 der FluggastrechteVO – grundsätzlich – bei Flügen über mehr als 3.500 km an, wenn sie mindestens drei Stunden verspätet sind.

Details

Die Entschädigung wegen Flugverspätung ist in der FluggastrechteVO nicht einmal ausdrücklich geregelt. Bereits der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 23.10.2012 allerdings entschieden, dass die Verordnung auf Flugverspätungen anwendbar ist. Dem folgt auch die ständige Rechtsprechung des BGH, siehe etwa das Urteil v. 20.12.2016.

Das hat dann auch die Lufthansa überzeugt – wenige Wochen nach Zustellung der Klageschrift zahlte sie die EUR 600,- pro Person und erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Hierbei übernahm sie sämtliche Kosten des Verfahrens. Die Mühe, den behaupteten technischen Defekt und dessen Unvorhersehbarkeit vor Gericht näher zu erläutern, machte sie sich gar nicht mehr.

Es wäre auch einfacher gegangen! Allerdings bleibt ein gewisser Argwohn, dass die Airlines auch berechtigte Ansprüche gerne erst einmal ablehnen, nach dem Motto: es werden schon nicht alle klagen.