Die unsichtbare Stornoreserve: wie Vermittler Geld verschenken

Ein aktueller Fall zeigt, dass vielen Versicherungsvertreter*innen nicht bewusst ist, dass sie oft noch nach Jahren Ansprüche gegen ihre Ex-Vertriebe oder Ex-Versicherer haben können. Denn es gibt eine Stornoreserve, die unter Umständen im Laufe der Zeit in den Abrechnungen einfach unsichtbar wird. Das kann auch gelten, wenn die Abrechnung des Vertriebs ein Minus ausweist. Denn diese Abrechnungen sind nicht immer, aber doch häufig fehlerhaft.

 

Die Ausgangslage

 

Endet ein Vertrag zwischen Versicherungsvermittler und Versicherer oder Vertrieb, dann ist die Beziehung zwischen diesen beiden meist noch lange nicht beendet. Vielmehr bestehen und entstehen noch vielerlei Forderungen beider Seiten, und zwar häufig über Jahre hinweg.

 

Besonders hervorzuheben sind dabei Forderungen

 

  • des Versicherers/Vertriebs auf Erstattung von Stornoprovision
  • des Vermittlers auf Gutschrift oder Auszahlung der Stornoreserve und nachlaufender Provisionen
  • des Vermittlers auf einen Ausgleichsanspruch, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.

 

Ganz oft geschieht es, dass nach Vertragsende zahlreiche Stornierungen in die Abrechnungen eingebucht werden. Davon erfahren die Vermittler*innen oft erst durch die Abrechnung. Sie werden also nicht vorab davon informiert, dass ein Vertrag stornogefährdet ist. Vielmehr behält sich der Versicherer/Vertrieb eigene Nachbearbeitungsmaßnahmen vor, um die Verträge zu retten.

 

Durch die Stornierungen gerät der Gesamtsaldo schnell ins Minus. Der Grund dafür ist einfach: es gibt nach Vertragsende kein Neugeschäft mehr, mit dem die Stornos verrechnet werden können. Es gibt also nur noch Buchungen zu Lasten der Vermittler*innen, so dass sich schnell ein hoher Sollsaldo ansammelt.

 

Dieser Sollsaldo wird bei Weitem nicht immer sofort eingefordert. Denn in sehr vielen Fällen wurde aus den Provisionen der Vermittler*innen eine Stornoreserve angesammelt. Die Stornoreserve beläuft sich bei Vertragsende oft auf eine stattliche Summe, gerade bei längeren Vertragsverhältnissen. Der Versicherer/Vertrieb wird dann also, wenn der Sollsaldo hoch genug ist, einfach die Stornoreserve den Provisionskonto gutschreiben und beides miteinander verrechnen.

 

Auf diese Weise sieht der Gesamtsaldo wieder erträglich aus oder ist sogar bei Null. Nur die Stornoreserve, die die Vermittler*innen eigentlich verdient haben, ist auf einmal – verschwunden.

 

Nach meiner Erfahrung kümmern sich viele Vermittler*innen darum auch nicht mehr besonders. Sie sind erstmal froh, dass sie keinen hohen Sollsaldo mehr haben und es keinen Stress gibt. An die Stornoreserve denken sie nicht mehr. Oder aber sie vertrauen darauf, dass die Abrechnung des alten Versicherers/Vertriebes schon richtig sein wird. Ein großer Fehler!

 

Wenn es dann nach der Verrechnung noch weitere Stornierungen gibt (und das ist meistens der Fall), dann läuft der Saldo wieder ins Minus. Und eines Tages passiert es dann, und der Versicherer oder Vertrieb fordern die Vermittler*innen dazu auf, nun bitte zu zahlen.

Es ist nach alledem falsch, einfach nichts zu tun oder gar gleich zu zahlen oder Ratenvereinbarungen zu treffen. Denn es ist sehr sinnvoll, überprüfen zu lassen, ob noch Ansprüche auf Auszahlung oder Gutschrift der ganzen Stornoreserve oder eines Teils davon bestehen.

 

Der aktuelle Fall

 

Das zeigt auch wieder ein aktuelles Verfahren vor dem Landgericht Heilbronn, das eine Versicherung gegen einen Vermittler geführt hat. Ich habe hier den Vermittler vertreten.

 

Das Verfahren begann so, dass die Versicherung den Vermittler auf Zahlung von gut EUR 4.000,00 verklagt hat. Das Ergebnis war ein Vergleich vor dem Landgericht, in dem die klagende Versicherung an den Vermittler gut EUR 18.000,00 bezahlen musste. Das war genau der Betrag der Stornoreserve bei Vertragsende. Die Zahlung ist mittlerweile auch erfolgt.

 

Wie kam es dazu?

 

Ganz einfach: die Stornierungen, also die Minusbuchungen, mit denen die Stornoreserve verrechnet wurde, waren nach dem Stand im Prozess unwirksam. Hierfür kann es viele unterschiedliche Gründe geben, die natürlich herausgearbeitet werden müssen. Das Ergebnis ist jedenfalls: unwirksame Buchungen fließen nicht in den Saldo ein. Sie sind also automatisch herauszurechnen. Das bedeutet: die Ansprüche des Vertriebs sinken – die Ansprüche der Vermittlerinnen steigen.

 

Und so etwas kommt nicht selten vor. Ich habe bereits mehrere Verfahren betreut, in denen sich genau dasselbe ereignet hat und in denen deshalb der Sollsaldo aus der Abrechnung des Versicherers/Vertriebes falsch war. In Wahrheit konnten die betreffenden Vermittler*innen in diesen Fällen ihrerseits noch Zahlung verlangen.

 

Was bedeutet das praktisch?

 

Tatsächlich ist also die Stornoreserve keineswegs unbedingt verschwunden, nur weil sie nicht mehr in der Abrechnung steht. Sie ist nur unsichtbar geworden, besteht aber immer noch. Und wenn der Versicherer/Vertrieb nicht belegen kann, dass seine Buchungen (und zwar alle) berechtigt erfolgt sind, dann bestehen gute Chancen, dass die Abrechnung nicht richtig ist. Das kann dann dazu führen, dass die Vermittler*innen viel weniger schulden, als in der Abrechnung steht – oder sogar dazu, dass sie selbst noch erhebliche Zahlungen verlangen können.

 

Wenn Sie als Vermittlerin oder Vermittler (insbesondere als Versicherungsvertreter) dies lesen, dann sollten Sie also einmal nachschauen, wie es bei Ihren Verträgen mit den Ex-Vertrieben aussieht. Dabei kann es sich auch lohnen, auf ältere Verträge zurückzublicken, da die Haftungszeiten ja oft recht lang sind.

 

Weil die Rechtslage zu diesen Punkten recht komplex ist, ist es sicher sinnvoll, sich dazu qualifiziert anwaltlich beraten zu lassen.

 

Und wie immer ist es bei allem sehr wichtig: geben Sie kein Saldenanerkenntnis ab, außer Sie sind sich wirklich sicher und wissen positiv, dass der Saldo, den Sie anerkennen, korrekt ermittelt ist. Auch durch Saldenanerkenntnisse verschenken Vermittler*innen manchmal leichtfertig sehr viel von ihrem verdienten Geld.

 

Zu Saldenanerkenntnissen wird demnächst noch ein eigener Beitrag erscheinen.

 

Generali – jetzt die Stornoreserve

Generali – jetzt die Stornoreserve

Der Vorprozess

Im Februar 2021 habe ich über einen Prozess berichtet, in dem die Generali-Versicherung Stornoprovision von meinem Mandanten haben wollte. Der Vermittlervertrag war da schon lange beendet, nämlich seit 2015. Die Klage der Generali wurde rechtskräftig abgewiesen, weil kein Anspruch bestand.

Es stellte sich nun aber die Frage, was denn mit der Stornoreserve des Mandanten ist. Die war nämlich niemals ausgezahlt worden. Generali hatte sie mit angeblich berechtigten Stornierungen verrechnet. Viele Vermittler*innen kennen das aus ihrem Vertriebsleben.

Wie das LG Heilbronn nun aber festgestellt hatte, waren jedenfalls die Stornierungen aus dem Vorprozess ja gerade nicht berechtigt. Hier ist noch einmal der Link zu der veröffentlichten Entscheidung.

Der neue Prozess

Also verlangte ich von Generali die Stornoreserve heraus. Generali war dazu freiwillig nicht bereit. Deshalb gab es einen weiteren Prozess beim LG Heilbronn. Jetzt war mein Mandant der Kläger.

Generali meinte im Verfahren unter anderem, die Forderung sei verjährt. Schließlich sei die Stornoreserve ja schon ab 2015 in den Abrechnungen verrechnet worden. Dem konnte das Gericht jedoch nicht folgen und wies in einer Verfügung darauf hin, dass nach seiner Ansicht keine Verjährung vorliegen dürfte.

Dieser Prozess ist jedenfalls nun auch beendet worden, und zwar durch einen Vergleich. Generali verpflichtete sich darin, 2/3 der Stornoreserve an meinen Mandanten zu zahlen und 2/3 der Kosten des Prozesses zu tragen.

Die ganze Geschichte, die damit begann, dass Generali meinen Mandanten auf Zahlung verklagte, endete nun also mit einer Zahlung der Generali.

Fazit für Vermittler*innen

Wie dieser Fall zeigt, ist es für Versicherungsvermittler*innen wichtig, auch nach Vertragsbeendigung genau zu prüfen, ob ihnen nicht noch Ansprüche zustehen können. Stornoreserven werden sehr oft nicht mehr ausgezahlt, sondern im Rahmen der Abrechnungen nach Vertragsende „verrechnet“. Wenn diese Verrechnungen aber unwirksam sind, weil die Versicherung oder der Vertrieb gar keine Forderungen hat, dann kann die Stornoreserve herausverlangt werden. Es handelt sich ja schließlich um verdiente Provision, die beim Prinzipal eigentlich nur vorübergehend geparkt sein soll.

Wegen der Haftungszeiten in den Verträgen können Ansprüche auf Auszahlung der Stornoreserve auch noch lange nach Vertragsbeendigung bestehen. Das ist eine Frage des konkreten Vertrages und natürlich der konkreten Abrechnungen, der Nachbearbeitung und so weiter.

Außerdem kommen natürlich noch ganz andere Ansprüche in Betracht, z.B. aus nachlaufenden Provisionsgutschriften, auf Ausgleichszahlung und mehr.

Eine Überprüfung der Sachlage kann sich für Vermittler*innen also auch nach langer Zeit noch lohnen.

Provisions-Rückforderung: der BGH hat gesprochen

Provisions-Rückforderung: der BGH hat gesprochen

Der Saldenprozess gegen Versicherungsvermittler ist voller Fallstricke und Details.

Die Anforderungen daran, was der Prinzipal im Prozess vortragen muss, damit er zurückverlangen kann, was er bereits gezahlt hat, folgen zwar aus dem Gesetz – sie stehen jedoch nicht direkt darin. Es sind vielmehr der Bundesgerichtshof (BGH) und die unteren Gerichte, die in einer umfangreichen und kleinteiligen Rechtsprechung den Rahmen setzen, innerhalb dessen das Gericht dann im Einzelfall prüft, ob Ansprüche des Unternehmers bestehen oder nicht. Gleichgültig ist es dabei, ob der Prinzipal eine Versicherung oder ein Vertrieb ist.

Besonders wichtig ist die Rechtsprechung des BGH. Denn an dieser Rechtsprechung orientieren sich die meisten unteren Gerichte. Fragen, die der BGH geklärt hat, beurteilen Amts-, Land- und Oberlandesgerichte meist ebenso.

Deshalb ist es schön, dass der BGH sich in einem Urteil vom 08.07.2021 – Az. I ZR 248/19 – zu zwei Punkten geäußert hat, die bisher so eindeutig nicht entschieden waren. Auch hier geht es um bestimmte Details, bei denen nun mehr Klarheit herrscht als zuvor.

Worum geht’s?

Der Sache nach handelt es sich um Fragen der notwendigen Nachbearbeitung. Will der Unternehmer Provisionen oder Vorschüsse zurückfordern, weil vermittelte Versicherungsverträge storniert worden seien, so muss er im Prozess umfassend zu diesen stornierten Verträgen vortragen. Ich habe unter anderem hier und auch hier schon etwas dazu geschrieben. Dazu gehört oft auch eine nähere Darlegung, auf welche Weise der Unternehmer sich darum bemüht hat, dass der Provisionsanspruch der Vermittlerin oder des Vermittlers erhalten bleibt.

Das bedeutet im Normalfall: droht einem Vertrag ein Storno, z.B. weil er gekündigt wurde, so muss der Unternehmer „nachbearbeiten“. Er kann das mit einer einfachen Stornogefahrmitteilung an den Vermittler oder die Vermittlerin machen. Er kann es aber auch selbst tun. Dann muss er grundsätzlich mit dem Kunden oder der Kundin Kontakt aufnehmen, um zu schauen, wo das Problem liegt und ob man es lösen und den Vertrag fortsetzen kann.

Streit gibt es immer wieder bei der Frage, in welchen Fällen überhaupt eine solche Nachbearbeitung erforderlich ist. Denn es kann auch Sachverhalte geben, in denen sie von vornherein keinen Sinn ergibt (Beispiel etwa: der Kunde ist verstorben. In diesem Fall bringt es oft wenig, sich darum zu bemühen, dass er weitere Zahlungen leistet). Um diese Frage geht es in dem Urteil des BGH.

Was hat der BGH entschieden?

Hierzu hat der BGH nunmehr festgestellt:

  • Wird der Versicherungsvertrag von der Kundin oder dem Kunden fristgerecht widerrufen, so muss der Unternehmer nicht nachbearbeiten. Er kann vielmehr grundsätzlich die Provision beim Vermittler auch ohne Nachbearbeitung stornieren.
  • Verlangt der Kunde oder die Kundin eine Beitragsfreistellung, so ist es anders: in diesen Fällen muss der Unternehmer nachbearbeiten. Denn es besteht in der Regel noch eine sinnvolle Möglichkeit, auf die Kundinnen oder Kunden einzuwirken, um den Vertrag mit Prämienzahlung aufrecht zu erhalten.

Es ist also gut und zu begrüßen, dass in diesen Punkten nunmehr Klarheit herrscht. Die Instanzgerichte haben hierzu zuvor unterschiedliche Auffassungen vertreten. Sie werden nunmehr sicherlich mehrheitlich der Ansicht des BGH folgen. Man kann übrigens mit guten Gründen hinsichtlich des Widerrufs anderer Ansicht als der BGH sein. Das wird dann im Schriftsatz aber schon eine eingehendere Auseinandersetzung erfordern.

Sonst noch was?

Der BGH trifft daneben weitere Feststellungen zu bekannten Themen. Er spricht einige Punkte an, um die im Prozess immer wieder gestritten wird. Zum Teil sind das Selbstverständlichkeiten, bei denen es trotzdem gut ist, sie hier noch einmal schwarz auf weiß zu haben:

  • Unter bestimmten Umständen gelten die Regelungen des Handelsvertreterrechts entsprechend für Versicherungsmakler.
  • Bei einer Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Kunden oder die Kundin ist eine Nachbearbeitung selbstverständlich erforderlich.
  • In einem mehrstufigen Vermittlerverhältnis (also z.B. Versicherung – Vertrieb – Vermittler*in) trifft die Nachbearbeitungspflicht grundsätzlich die jeweils höhere Stufe, also z.B. den Vertrieb im Verhältnis zu der Vermittlerin oder dem Vermittler.

Insgesamt handelt es sich um eine reichhaltige Entscheidung des BGH, die in künftigen Saldenprozessen sicherlich oft zitiert werden wird. Ich zumindest habe sie in meine Schriftsätze aufgenommen.

Generali – Klage auf Rückforderung von Provisionen

Generali – Klage auf Rückforderung von Provisionen

Vor dem Landgericht Heilbronn hat die Generali-Versicherung gegen einen ehemaligen Vermittler geklagt. Sie wollte vorschüssig gezahlte Provision zurückhaben, weil die Verträge storniert worden seien.

Das Landgericht hat die Klage am 04.09.2020 abgewiesen, und womit? Mit Recht. Kein Wunder, es ist ja auch ein Gericht.

Viel gibt es zu dem Urteil nicht zu sagen. Das Gericht hat sich an der Rechtsprechung des BGH orientiert. Danach muss der Versicherer zu jeder einzelnen Stornierung im Detail darlegen, aus welchem Grunde er glaubt, einen Anspruch zu haben. Das betrifft bei Versicherungsvertreter*innen bekanntlich unter anderem den Bereich der Nachbearbeitung stornogefährdeter Verträge.

Generali ist es nicht gelungen, dies zu den stornierten Verträgen ausreichend darzulegen. Deshalb erwies sich keine der eingeklagten Stornierungen als gerechtfertigt. Eine kleine Besonderheit weist das Urteil dennoch auf: Das Landgericht stellt ganz richtig fest, dass die Versicherung nicht einfach pauschal behaupten kann, eine Nachbearbeitung hätte nicht erbracht werden müssen, weil die Kund*innen sowieso nicht an ihren Verträgen festgehalten hätten. Wenn so eine Behauptung aufgestellt wird, dann muss das schon konkret und auf den einzelnen Vertrag und die einzelnen Versicherungsnehmer*innen bezogen erfolgen.

Das Urteil wurde in der Zeitschrift für Vertriebsrecht veröffentlicht, und ich habe eine kurze Anmerkung dazu geschrieben. Sie finden die Entscheidung und die Anmerkung hier. Die Veröffentlichung hier im Blog erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Swiss Life Select: Saldenklage und Fremdvermittlung

Swiss Life Select: Saldenklage und Fremdvermittlung

Der Fall

Vor dem Landgericht Stade und in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Celle wurde ein Fall der Swiss Life Select Deutschland GmbH (ehemals: AWD) gegen meinen Mandanten verhandelt, der seit Ende der 90er für den AWD und sodann für Swiss Life Select tätig war.

  • Swiss Life Select verlangte aufgrund von Stornierungen vermittelter Verträge gut EUR 11.600,00 von meinem Mandanten. Es handelte sich insoweit um eine normale Saldenklage.
  • Des Weiteren begehrte sie Auskunft darüber, welche Vermittlungstätigkeiten für die Konkurrenz mein Mandant während der – nach Ansicht von Swiss Life Select – knapp zweijährigen Kündigungsfrist entfaltet habe. Denn die Klägerin ging davon aus, dass mein Mandant in dieser Zeit für einen konkurrierenden Vertrieb tätig gewesen sei.

Im Vertrag war geregelt, dass für Verstöße gegen das Konkurrenzverbot eine Vertragsstrafe von bis zu EUR 7.500,00 pro Fall anfalle. Selbst wenn die Vermittlerin oder der Vermittler sich keines Verstoßes bewusst ist, stellt es eine enorme Drohung dar, wenn der Vertrieb in einem Gerichtsprozess behauptet, es habe Fremdvermittlungen, also eine Tätigkeit für die Konkurrenz gegeben.

Wie so oft war entscheidend für die Behandlung dieses Falls die exakte Prüfung und Beurteilung des Sachverhaltes. Nicht alles, was Kläger in einer Klageschrift behaupten, erweist sich im Prozess als wirklich belastbar. Das gilt natürlich nicht nur für Saldenprozesse, sondern für Zivilverfahren aller Art. Eventuelle Schwachstellen aufzudecken und präzise zu bezeichnen, ist daher Aufgabe des Anwalts des Vermittlers oder der Vermittlerin.

Die Entscheidung des Landgerichts

In unserem Fall stellte sich zweierlei heraus:

  1. Swiss Life Select war zum einen nicht imstande, konkret darzulegen, dass ihre Stornierungen in der Abrechnung berechtigt waren. Bei genauer Betrachtung erwies sich ihr Vortrag vor Gericht als lückenhaft und unzureichend. Letztendlich konnte Swiss Life Select trotz langer Schriftsätze keine Forderung ausreichend darlegen. Mit der Darlegungslast im Saldenprozess habe ich mich in einem Beitrag, der ein Verfahren gegen DVAG betraf, schon einmal auseinandergesetzt.
  2. Weiter erwies sich im Verfahren, dass mein Mandant nach seiner konkreten Tätigkeit nicht als hauptberuflicher Vermittler, sondern nur als Nebenberufler einzustufen war. Das hat eine große Bedeutung für die angebliche Fremdvermittlung. Denn bei Verträgen für Nebenberufler gilt nach dem Gesetz eine sehr kurze Kündigungsfrist von nur einem Monat. Diese Frist kann im Vertrag verlängert werden, aber nicht auf fast zwei Jahre. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für Nebenberufler schon eine – in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelte – Kündigungsfrist von einem Jahr zu lang und damit unwirksam.

Das bedeutet: die Kündigungsfrist für den Vermittler betrug in unserem Fall nicht fast 2 Jahre, sondern nur einen Monat. In diesem Monat hat schon nach dem Vortrag der Swiss Life Select kein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot vorgelegen. In dem Zeitraum danach waren Verstöße gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot nicht mehr möglich.

Das Landgericht Stade hat die Klage daher in beiden Punkten abgewiesen und Swiss Life Select die Verfahrenskosten auferlegt.

Gegen das Urteil legte Swiss Life Select Berufung ein.

Verfahren vor dem Oberlandesgericht

Das OLG Celle folgte der Auffassung des Landgerichts und erteilte entsprechende Hinweise. Swiss Life Select nahm daher die Berufung zurück, ohne dass eine mündliche Verhandlung vor dem OLG erforderlich war.

Das Urteil des Landgerichts ist damit rechtskräftig.

Im Ergebnis war somit nach gut zwei Jahren Jahren Prozessführung festzustellen:

  • Swiss Life Select kann keine Zahlung wegen Stornierungen von meinem Mandanten verlangen.
  • Swiss Life Select hat keine Ansprüche wegen einer angeblichen Konkurrenztätigkeit meines Mandanten.

Schlussfolgerungen für Versicherungsvertreter*innen

Man kann beobachten, dass gerade große Vertriebe und auch Versicherungen nicht selten Ansprüche gegen ausgeschiedene Vermittlerinnen und Vermittler geltend machen, die sich bei genauerer Prüfung als nicht gerechtfertigt erweisen. Es lohnt sich daher immer, den Sachverhalt sorgfältig zu untersuchen, um genau zu identifizieren, ob die teilweise erheblichen Forderungen eines Vertriebs oder einer Versicherung wirklich berechtigt sind. Hierbei sind die Grundsätze zu berücksichtigen, die sich in der Rechtsprechung seit Jahrzehnten herausgebildet haben.

Außergerichtlich lassen sich solche Konflikte leider nicht immer befriedigend lösen, weil die Vertriebe oder Versicherungen oft nicht bereit sind, sich die Mühe zu machen, ihre Ansprüche detailliert zu begründen.

Ob Stornierungen berechtigt sind, lässt sich aber wie oben schon gesagt in aller Regel nur durch eine eingehende Prüfung ermitteln.

Diese Prüfung sollte vorgenommen werden, bevor man etwa eine Ratenzahlungsvereinbarung unterzeichnet oder ähnliches. Denn damit ist in aller Regel ein Saldenanerkenntnis verbunden, das es deutlich erschwert, Einwände gegen unberechtigte Buchungen geltend zu machen.

Auch bei dem – ebenfalls nicht gerade seltenen – Vorwurf konkurrierender Tätigkeit muss genau überprüft werden, ob wirklich Ansprüche der Versicherung oder des Vertriebes in Betracht kommen und dabei in einem ersten Schritt, ob die vertraglichen oder gesetzlichen Voraussetzungen eines Wettbewerbsverbotes überhaupt erfüllt sind.

Stornoreserve im Versicherungsvertrieb

Stornoreserve im Versicherungsvertrieb

Der Versicherungsbote berichtet aktuell über ein im letzten Jahr von mir erstrittenes Urteil gegen die DVAG. Der Vertrieb hatte hier von der Vermittlerin die Rückzahlung von Provisionen für stornierte Verträge verlangt. Im Gegenzug verlangte die Vermittlerin ihre Stornoreserve heraus. Letztendlich musste DVAG die Stornoreserve vollständig an die Vermittlerin auskehren. Rückforderungsansprüche der DVAG bestanden hingegen nicht.

Zur Einordnung und kurzen Erläuterung darf ich noch einmal auf meinen Blogbeitrag zu diesem Urteil verweisen. Die Entscheidung selbst finden Sie hier auf der Website im Bereich Dokumente. Das Dokument enthält den Abdruck aus der Zeitschrift für Vertriebsrecht. Direkt nach der Entscheidung ist meine Anmerkung dazu abgedruckt – falls sich jemand für den rechtlichen Rahmen interessiert, in den das Urteil einzuordnen ist.

Die Grundsätze, die das OLG Karlsruhe angewandt hat, gelten natürlich nicht nur für die DVAG, sondern für jeden Vertrieb, der mit Versicherungsvertretern arbeitet, und ebenso für Versicherungen und deren Vertreter. Auf Versicherungsmakler lassen sich diese Grundsätze allerdings nicht ohne Weiteres übertragen – hier ist eine genaue Prüfung der vertraglichen Konstellation erforderlich.