Ein Markenglas, eine Abmahnung und ein Prozess

Ein Markenglas, eine Abmahnung und ein Prozess

Ein Blogeintrag jagt auf dieser Website den nächsten, hoffentlich kommen Sie mit dem Lesen noch hinterher, liebe Leserinnen und Leser!

Heute geht es um einen Prozess nach einer Abmahnung:

1. Die Abmahnung und der Mahnbescheid

Herr Ralph Schneider betreibt einen Onlineshop namens „markenglas“. Googelt man Herrn Schneider, stellt sich schnell heraus, dass er dem Internet kein Unbekannter ist. Allerdings werden auf vielen Seiten weniger die schönen Gläser gepriesen, die er anbietet. Vielmehr ist er als jemand bekannt, der recht häufig andere Personen wegen Wettbewerbs- oder Urheberrechtsverstößen im Internet abmahnt. Hierbei lässt er sich anwaltlich vertreten, und das ist ja immer teuer.

Auch meine Mandantin erhielt Ende März 2018 eine solche Abmahnung durch die Anwälte des Herrn Schneider. Neben der Forderung, bestimmte Verstöße im Internet zu unterlassen, wurden auch die Kosten der Abmahnung geltend gemacht, immerhin EUR 1.358,86. Ich habe meine Oma gefragt, und sie hat bestätigt, dass sie für einen solchen Betrag sehr lange stricken müsse.

Auf die Abmahnung reagierte die Mandantin nicht. Das hatte Folgen: im April 2018 flatterte ihr ein Mahnbescheid ins Haus, mit dem ein Betrag in Höhe der Abmahnkosten geltend gemacht wurde, natürlich plus Zinsen und weiterer Kosten für das Mahnverfahren.

Gegen den Mahnbescheid legte sie fristgerecht (2 Wochen ab Zustellung) Widerspruch ein.

2. Die Klage

Im Juli 2018 war es dann soweit: es kam mit der Post eine sog. Anspruchsbegründung (das ist praktisch eine normale Klage, die nach dem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid eingereicht wird). Mit der Klage in der Hand wurde die Mandantin bei mir vorstellig.

In der Klage wurden nicht nur die Abmahnkosten aus dem Mahnbescheid geltend gemacht, sondern es wurde zusätzlich beantragt, dass die Mandantin ihr Verhalten im Internet unterlassen solle. Der Streitwert war mit insgesamt EUR 30.000,00 angesetzt, was zu einem gewissen Schockerlebnis bei meiner Mandantin führte, denn bei einem solchen Streitwert entstehen für ein Gerichtsverfahren schon recht hohe Anwaltskosten. Und wenn man den Prozess verliert, muss man ja auch noch die Anwaltskosten der Gegenseite bezahlen!

Zuständig für die Klage war das Landgericht Köln. Es wurden Schriftsätze zwischen den Anwälten gewechselt, und natürlich gab es eine mündliche Verhandlung. Das Landgericht Köln wies sodann die Klage des Herrn Schneider ab, weil es keinen Verstoß meiner Mandantin sah. Den Streitwert setzte es in der Tat mit EUR 30.000,00 fest.

3. Die Berufung

Herr Schneider ging daraufhin in Berufung zum Oberlandesgericht Köln. Dort fand kürzlich die mündliche Verhandlung statt. Und die war in rechtlicher Hinsicht interessant:

Das Oberlandesgericht äußerte nämlich mit eingehender Begründung seine vorläufige Ansicht, dass Herr Schneider in unserem Fall rechtsmissbräuchlich vorgegangen sei. Wenn aber eine Klage rechtsmissbräuchlich ist, dann ist sie unzulässig und muss daher abgewiesen werden. Ob ein Verstoß des oder der Beklagten gegen das Wettbewerbsrecht vorliegt, spielt dann keine Rolle mehr.

Rechtsmissbrauch kann – kurz gesagt – vorliegen, wenn der Kläger oder die Klägerin sich von  sachfremden Motiven leiten lässt. Geht es zum Beispiel jemandem, der vorgeblich einen Unterlassungsanspruch verfolgt, in Wahrheit gar nicht um diese Unterlassung, sondern nur oder hauptsächlich darum, Anwaltskosten einzutreiben, dann sind diese rein finanziellen Interessen sachfremd. Denn es geht ja nur um Geld, und nicht z.B. um die Förderung des lauteren Wettbewerbs oder den Schutz des eigenen Geschäfts.  

Der Zivilsenat beim Oberlandesgericht stützte seine Ansicht hauptsächlich auf folgenden Aspekt, zu dem es merkwürdigerweise bisher praktisch keine Rechtsprechung gibt, obwohl die Konstellation sicher häufiger vorkommen wird:

Wie gesagt hatte die Mandantin auf die Abmahnung nicht reagiert, worauf dann der Mahnbescheid kam. Bei einem Mahnbescheid ist es nun so, dass dieser nur wegen der Zahlung einer Geldsumme beantragt werden kann. Das steht im Gesetz (§ 688 Abs. 1 ZPO). Eine Unterlassung zum Beispiel kann mit einem Mahnantrag also nicht verfolgt werden. Deshalb standen in dem Mahnbescheid ja auch nur die Anwaltskosten und sonst nichts.

Statt also wegen der fruchtlosen Abmahnung eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung zu beantragen oder Klage auf Unterlassung zu erheben, hat Herr Schneider über seine Anwälte nur die Anwaltskosten geltend gemacht.

Den Unterlassungsanspruch hat er dann erst nach dem Widerspruch gegen den Mahnbescheid zusammen mit der Forderung auf die Abmahnkosten bei Gericht begründet. Die Klage ging wie gesagt über drei Monate nach der Abmahnung bei Gericht ein. Das ist ein sehr langer Zeitraum, wenn man in der Abmahnung noch erklärt, dass man binnen einer Woche eine Unterlassungserklärung haben will und ansonsten gerichtlich (wegen der Unterlassung!) vorgehen werde.

Das hielt das Oberlandesgericht Köln nach seiner vorläufigen Rechtsauffassung für ein ausreichend deutliches Indiz dafür, dass es Herrn Schneider nicht wirklich um die Unterlassung ging, sondern hauptsächlich um eine Kostenerstattung – also um sachfremde Motive, siehe oben! Denn er hat ja erst einmal ausschließlich die Kosten geltend gemacht, obwohl meine Mandantin auf die Abmahnung überhaupt nicht reagiert hatte. Man kann kaum deutlicher zum Ausdruck bringen, dass man in erster Linie daran interessiert ist, eine Zahlung zu erhalten, als dadurch, dass man – obwohl noch andere Ansprüche im Raum stehen – per Mahnverfahren nur die Zahlung verlangt.

(Das wäre anders gewesen, wenn meine Mandantin auf die Abmahnung eine Unterlassungserklärung abgegeben hätte. Denn dann braucht der Abmahner seine angeblichen Unterlassungsansprüche nicht mehr bei Gericht zu verfolgen. Sie sind durch die Unterlassungserklärung befriedigt, und er kann seine Abmahnkosten per Mahnbescheid geltend machen, wenn sie nicht bezahlt werden.)

In den Schriftsätzen im Verfahren gelang es Herrn Schneider auch nicht, zur Überzeugung des OLG zu erklären, warum er auf diese Weise vorgegangen ist.

Es kommt noch etwas hinzu: selbst wenn meine Mandantin auf den Mahnbescheid gezahlt und Herr Schneider danach gesondert eine Unterlassungsklage eingereicht hätte, dürfte das ein Anzeichen für Rechtsmissbrauch sein. Denn dadurch, dass die Kosten und die Unterlassung in zwei getrennten Verfahren geltend gemacht würden, würden völlig unnötig erhebliche zusätzliche Verfahrenskosten entstehen, und dabei handelt es sich dann hauptsächlich um Anwaltskosten, die Herr Schneider erstattet verlangt.

Der Vorsitzende Richter des Zivilsenates beim OLG Köln meinte, der Senat würde wirklich gerne ein Urteil zu unserem Sachverhalt schreiben, da es wie gesagt zu diesem Aspekt bisher kaum oder keine Rechtsprechung gibt (ich habe keine gefunden).

Dieses Urteil wird es nun aber nicht geben – Herr Schneider nahm noch im Termin seine Berufung zurück.

4. Die Erkenntnis!

Es zeigt sich an diesem Fall, dass es sich durchaus lohnen kann, genau hinzuschauen, welche Schritte ein Abmahner nach seiner Abmahnung ergreift, wenn es denn tatsächlich zum Prozess kommt. Eventuell lassen sich daraus wichtige Erkenntnisse über die wahren Motive einer Abmahnung gewinnen.

Nur vorsorglich, liebe Leserinnen und Leser: damit will ich nicht pauschal empfehlen, auf eine Abmahnung einfach nicht zu reagieren. Es gibt durchaus auch berechtigte Abmahnungen. Sie haben bestimmt noch gut in Erinnerung, was ich oben über den Streitwert und die Kosten geschrieben habe. Wenn man einen Prozess mit einem Streitwert von EUR 30.000,00 verliert, fallen bei zwei Instanzen alleine Anwaltskosten in Höhe von insgesamt über EUR 10.000,00 an. Ich habe auch hierzu meine Oma noch einmal befragt, und sie hat mit schreckensgeweiteten Augen erklärt, dass sie dafür wirklich SEHR lange stricken müsse. Und sie strickt nicht gerade gerne!

Noch einmal: das beA

Noch einmal: das beA

Rechtsanwältin Nina Diercks aus Hamburg hat einen offenen Brief an die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) verfasst, die als Auftraggeber für das Projekt „besonderes elektronisches Anwaltspostfach“ (beA) verantwortlich ist.

An dem Brief und auch an dem begleitenden Blogeintrag lässt sich das Ausmaß dieser IT-Katastrophe gut erkennen (siehe bereits den Beitrag hier im Blog). Zugleich wachsen bei der Lektüre die Zweifel daran, dass das beA in seiner jetzigen Form erhalten werden kann. Es handelt sich hier ganz offenbar um ein wirklich erstaunliches Versagen an mehreren Fronten in einem hochsensiblen Bereich.

 

 

Happy new beA!

Happy new beA!

Das Jahr fängt ja gut an!

Zunächst aber möchte ich allen Mandantinnen und Mandanten und auch allen sonstigen Leserinnen und Lesern ein schönes und glückliches Jahr 2018 wünschen.

 

Auf in die Zukunft!

Am 01.01.2018 sollte in Deutschland eigentlich der elektronische Rechtsverkehr so richtig durchstarten. Den gibt es z.B. in Österreich schon seit Ewigkeiten, und dort werden  über 90 % der Klagen elektronisch bei Gericht eingereicht, was vielen deutschen Anwälten wie eine wahnsinnige Science-Fiction-Dystopie vorkommen mag. Aber jetzt sollte es auch hier ernsthaft losgehen.

Dafür hat die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) ein ganz eigenes System entwickeln lassen. Dieses trägt den Namen „besonderes elektronisches Anwaltspostfach“ (beA). Über dieses beA können, Moment: konnten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte rechtswirksam mit bestimmten Gerichten, sonstigen Justizbehörden und untereinander kommunizieren. Klingt erstmal praktischer als die Post.

Dreh- und Angelpunkt bei der Entwicklung des beA war natürlich die Sicherheit des Postfachs und die Vertraulichkeit der Daten, die darüber übermittelt werden sollen. Um die Entwicklungskosten aufzubringen, wurden die deutschen Rechtsanwältinnen und -anwälte herangezogen. Insgesamt kamen dadurch bisher so ca. EUR 38.000.000,- zusammen, das ist eine ganz schöne Menge Geld. Stellen Sie sich einfach vor, wie lange Ihre Oma dafür stricken müsste!

Der 01.01.2018 ist ein wichtiges Datum, da seit diesem Tage eine sogenannte passive Nutzungspflicht dieses Anwaltspostfaches besteht. Das heißt, jeder Anwalt und jede Anwältin ist nach dem Gesetz verpflichtet, die technischen Voraussetzungen empfangsbereit vorzuhalten, um Mitteilungen über das beA zur Kenntnis nehmen zu können. Natürlich habe ich als gesetzestreuer Anwalt alle Vorkehrungen getroffen und nutze das Postfach bereits seit fast einem Jahr. Viele Kollegen und Kolleginnen schimpfen darüber, aber trotz schwerfälliger und umständlicher Bedienung hat sich das eigentlich als sehr praktisch und jedenfalls nach meiner Erfahrung auch zuverlässig erwiesen.

 

Stop! Kommando zurück!

Leider wurde das beA kurz vor dem Jahreswechsel vom Netz genommen, und keiner weiß, wann und in welcher Form es wieder zur Verfügung stehen wird. Man kann nichts mehr senden oder empfangen.

Mir fehlt das IT-Verständnis, um korrekt wiedergeben zu können, was da passiert ist. Es ist bei golem.de unter dem beunruhigenden Titel „Bundesrechtsanwaltskammer verteilt HTTPS-Hintertüre“ verhältnismäßig anschaulich dargestellt.

Wenn Sie den Artikel lesen, werden Sie vielleicht fragen: „Was? Die BRAK hat den Anwälten zum Fixen des Problems ein Zertifikat zum Download zur Verfügung gestellt, das völlig neue Sicherheitslücken reißt und nunmehr dringendst deinstalliert werden sollte?“ Die Antwort hierauf lautet: Jawohl, das kann man so sagen.

 

 

Den aktuellen Stand kann man auf derselben Seite nachlesen, nunmehr betitelt „Noch mehr Sicherheitslücken im Anwaltspostfach“. Diese Überschrift ist selbst für technische Laien gut verständlich.

Die BRAK hat immerhin angegeben, dass die Vertraulichkeit der über das beA übersandten Dokumente stets gewährleistet gewesen sei. Ebenso sei kein Angriff auf ein Anwalts-Postfach unter Ausnutzung der Sicherheitslücken erfolgt. Zumindest die erste Aussage wird in IT-Kreisen allerdings stark angezweifelt.

Als wäre das nicht genug, hat die BRAK anfangs auch noch überaus ungeschickt kommuniziert. So konnte kurzzeitig der Eindruck entstehen, dass Markus Drenger vom Chaos Computer Club Darmstadt das Problem verursacht habe – tatsächlich hat Herr Drenger die BRAK darauf hingewiesen, dass u.a. diese enorme Sicherheitslücke existiert! Natürlich hat sich die Formulierung der BRAK als Missverständnis herausgestellt. Kurz darauf beauftragte die BRAK eine Kommunikationsagentur. Mittlerweile liegt auch eine Stellungnahme des Präsidenten der BRAK vor, aus der man erkennen kann, dass hier wirklich ein Problem besteht.

Aktuell ist nicht absehbar, wann das beA wieder online geht und ob es überhaupt in der bisher geplanten Form Bestand haben kann. Der passiven Nutzungspflicht kann die Anwaltschaft derzeit jedenfalls nicht wie vorgesehen nachkommen. Derzeit kann allerdings auch nichts über das beA gesendet und somit auch nichts empfangen werden.

 

Zurück in die Vergangenheit!

Und nun?

Tja, nun habe ich mal das gute alte Faxgerät entstaubt, die Brieftaube wieder eingestellt und über den Jahreswechsel Holz gesammelt, um per Rauchzeichen mit den Gerichten kommunizieren zu können. Das beA lässt wohl noch etwas auf sich warten. Schauen wir mal, wann die Zukunft endlich beginnt.